Was sind Gerüche?
Gerueche sind Empfindungen, die durch Reize (Geruchsstoffe) auf den Riechnerv ausgeloest werden. Wie ein Mensch auf einen Geruchsreiz reagiert, haengt von den Eigenschaften ab, durch die ein Geruchsreiz charakterisiert werden kann:
- Geruchsstoffkonzentration als Reizstaerke
- Geruchsintensitaet (Staerke der Geruchsempfindung)
- Geruchsqualitaet (Art des Geruchs, „Es riecht nach ...“) und
- Hedonische Geruchswirkung oder -toenung (Bewertung als unangenehm, neutral, angenehm)
Kann man Gerueche messen?
In einem dicht besiedelten Industrieland wie Deutschland entstand frueh die Notwendigkeit, Maßstaebe (Messgroeßen) zu finden, um die Bevoelkerung vor erheblichen Geruchsbelaestigungen als Folge von Luftverunreinigungen zu schuetzen und das Phaenomen beherrschbar zu machen. In den 1980er und 1990er Jahren wurden deshalb zahlreiche technische Regeln erarbeitet, von denen einige inzwischen zu europaeischen Normen weiterentwickelt wurden (siehe Quellenverzeichnis).
Das Zusammenwirken der verschiedenen Geruchseigenschaften in der Atemluft, aber auch andere Randbedingungen (Parameter) beeinflussen den Grad einer eventuellen Geruchsbelaestigungsreaktion in der Bevoelkerung nahe der Quelle.
Als Grundlage fuer die technischen Regeln (Richtlinien, Normen) dienten umfangreiche Paralleluntersuchungen zu Geruchsstoffemission, Haeufigkeit der Geruchswahrnehmung im Feld (in der Nachbarschaft einer Quelle) und Belaestigungsreaktionen in der Bevoelkerung, z.B. [1; 2]. Vornehmliches Ziel war es, einen oder mehrere objektive Messparameter zu finden, die so genau wie moeglich die eventuell zu erwartende Belaestigungsreaktion in der Bevoelkerung abbilden.
Um einen ausreichend zuverlaessigen Orientierungswert bei den Messverfahren zu erzielen, werden Probanden mit durchschnittlicher Geruchsempfindlichkeit am Messgeraet (Olfaktometer = dynamische Verduennungseinrichtung) und im Feld (Umgebung einer Emissionsquelle) geschult. Die Ergebnisse werden statistisch zu einem Mittelwert aller positiven Antworten verrechnet.
Geruchsstoffkonzentration
In Europa wurde als Maß fuer die Geruchsstoffkonzentration die europaeische Geruchseinheit eingefuehrt. Nach der Definition der europaeischen Norm EN 13725 [3; 4] ist die Geruchs(stoff)konzentration einer Gasprobe die Anzahl der europaeischen Geruchseinheiten GEE (Englisch ouE = European odour units) in einem Kubikmeter Gas unter Laborbedingungen (20°C, 1013 mbar).
Der Betrag (Zahlenwert) der Geruchsstoffkonzentration GEE/m³ entspricht dem Vielfachen, mit dem die Originalabgasprobe verduennt werden muss, bis die Haelfte der geschulten Probanden, die die Verduennung am Olfaktometer pruefen, eine Geruchswahrnehmung meldet. Dann hat der Luftstrom der Riechprobe am Olfaktometerausgang per Definition die Geruchsschwellenkonzentration 1 GEE/m³. Um die Geruchsschwellenkonzentration der Riechprobe und damit im Umkehrschluss auch die Geruchsstoffkonzentration der Originalprobe zu finden, werden ein Neutralluftstrom und ein Probenluftstrom miteinander vermischt und den Probanden zur Pruefung auf Geruch angeboten. Man beginnt mit einer hohen Verduennung, die deutlich unter der geschaetzten Geruchsschwellenkonzentration am Olfaktometerausgang liegt, um eine Adaptation der Probanden an den Geruch zu vermeiden.
Das gesamte Verfahren zur Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration ist in DIN EN 13725 [3; 4] und ergaenzend in VDI 3880 [5] und speziell fuer Deutschland in VDI 3884-1 [6] beschrieben.
Geruchsintensitaet
Die Geruchsintensitaet drueckt die Staerke der Geruchsempfindung aus, die durch den Reiz auf den Riechnerv ausgeloest wird. Dabei ist zu beachten, dass die Beziehung zwischen Reiz und Wirkung (Konzentration und Intensitaet) nicht linear oder proportional ist sondern exponentiell. Das bedeutet, dass die Reizgroeße Geruchsstoffkonzentration nominal (zahlenmaeßig) um ein Vielfaches gesteigert oder reduziert werden kann/muss, bevor sich die empfundene Geruchsintensitaet aendert.
Die Beziehungen zwischen Reiz und Wirkung in verschiedenen Sinnesmodalitaeten (Hoeren, Sehen, Fuehlen, Schmecken, Riechen) wurden von Stevens sowie Weber und Fechner untersucht. Schwerpunkte der Untersuchungen waren einerseits die Aufzeichnung einer gezielten Veraenderung der ueberschwelligen Reize und die daraus resultierende Empfindungsaenderung (JND = just noticeable difference) und andererseits die systematische Reizminderung bis zur jeweiligen Wahrnehmungsschwelle (D/T = dilution to threshold).
Das Messverfahren zur Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration nach EN 13725 beruht auf den Untersuchungen von Weber und Fechner . Deshalb liegt ihm die Weber-Fechner-Gleichung
I = k · lg (c/c0) (1)
zugrunde. Darin sind
I = Geruchsintensitaet (Empfindungsstaerke)
k = Weber-Fechner-Koeffizient (abhaengig von der Sinnesmodalitaet)
c = Geruchsstoffkonzentration (Reizstaerke)
c0 = Geruchsschwellenkonzentration (1 GEE/m³)
Im Verlauf dieser Arbeiten entstand fuer den Geruchsparameter Intensitaet [7] eine Skalierung, die gezielt aus allgemein verstaendlichen Begriffen besteht und nicht aus einer logarithmischen Zahlenskala. Die Absicht war es, auch Probanden einzusetzen, die ihre Eindruecke nicht anhand einer solchen Skala einordnen konnten, sondern eher nach den Adjektiven in der folgenden Tabelle.
Tabelle 1. Verbale Intensitaetsstufen nach [7]
Geruch |
Intensitaetsstufe |
Nicht wahrnehmbar |
0 |
Sehr schwach |
1 |
Schwach |
2 |
Deutlich |
3 |
Stark |
4 |
Sehr stark |
5 |
Extrem stark |
6 |
Diese Skalierung eignet sich fuer Untersuchungen sowohl am Olfaktometer (mit Bezug zur verursachenden Geruchsstoffkonzentration) [7] als auch im Feld (ohne zugehoerige Geruchsstoffkonzentration) [8].
Geruchsqualitaet
Geruchsqualitaet oder der Geruchscharakter ermoeglicht es einem Probanden, die Herkunft des Geruchs zu erkennen und zu beschreiben („Es riecht faulig, sueß, erdig, blumig o.ae.“ oder „Es riecht nach Rauch, Honig, Guelle, Tabak o.ae.“). Fuer die unendliche Vielfalt an moeglichen Antworten auf die Frage nach einer Geruchsqualitaet gibt es keine allgemein gueltige Skalierung, wie man sich denken kann. Die systematische Abfrage der Geruchsqualitaet einer Emission oder Immission haengt im Einzelfall von den zu erwartenden Geruchsqualitaeten ab. Sie wird jeweils neu entwickelt.
Hedonische Geruchswirkung
Die hedonische Geruchswirkung ist die Eigenschaft eines Geruchs, ein angenehmes, neutrales oder unangenehmes Gefuehl bei der Geruchswahrnehmung zu erzeugen. Als Skalierung fuer die Bewertung wurden Zahlen aehnlich den Schulnoten oder Adjektive verwendet [9].
Diese Bewertung eines Geruchs ist abhaengig von der persoenlichen Erfahrung und der Erinnerung, die der Proband mit diesem Geruch verbindet. Insofern gibt es kulturelle und individuelle Unterschiede bei der Bewertung. In der Tendenz sind die Bewertungen aber oft gleich oder sehr aehnlich. Das laesst sich mit Hilfe des von Peyram und Pilgrim entwickelten Polaritaetenprofils belegen [9; 10]. Es dient der Objektivierung einer subjektiv empfundenen, hedonischen Geruchseigenschaft mehrerer Personen.
Dazu werden Adjektive mit gegensaetzlicher Bedeutung paarweise nebeneinander aufgelistet (z.B. laut-leise, stark-schwach usw.) und die positiven und negativen Begriffe unsortiert untereinander. Der horizontale Zwischenraum zwischen den Woertern wird von den Probanden mit einer Markierung versehen, die angibt, ob der gerade wahrgenommene Geruch einer Probe eher zum positiven oder negativen Begriff tendiert. Verbindet man die Markierungen senkrecht, erhaelt man eine Profillinie. Dieses Profil wird mit dem verglichen, das für das Konzept „Gestank“ oder „Duft“ gilt. Es ergibt sich eine Aehnlichkeit oder eben nicht.
Geruchsbestimmungen im Feld
Bis auf die Geruchsstoffkonzentration koennen die oben genannten Geruchseigenschaften sowohl am Olfaktometer als auch im Feld ermittelt werden. Voraussetzung fuer die Untersuchung am Olfaktometer ist eine ausreichend hohe Konzentration der Probe im Beutel, um eine Mindestzahl an Verduennungsstufen einzustellen und eine Korrelation zur Geruchsstoffkonzentration herzustellen. Die Erkennung der Geruchsqualitaet einer Probe benoetigt in der Regel keine Korrelation zur Geruchsstoffkonzentration.
Bei Felduntersuchungen mit Probanden (z.B. in einer Geruchsstofffahne oder am Immissionsort) koennen die Probanden folgende Parameter an ihrem Standort ermitteln:
- die Haeufigkeit der Geruchswahrnehmung in 10 min (Extrapolation auf 1 h) [12],
- die Ausdehnung einer Geruchsstofffahne [13],
- die Geruchsintensitaet [8],
- die hedonische Geruchswirkung [14],
- die Geruchsqualitaet der gerade eingeatmeten Luft;
außerdem
- die vorherrschende Windrichtung am Standort des Probanden,
- die aktuellen Wetterphaenomene vor Ort wie Regen, Nebel, Sonnenschein u.a.
Einzelheiten ueber solche Felduntersuchungen sind ausfuehrlich in Normen und Richtlinien beschrieben (Beuth Verlag, Berlin,www.beuth.de/de/ und www.krdl.de).
Geruchsbelaestigung
Die Wahrscheinlichkeit einer (erheblichen) Geruchsbelaestigung in der Umgebung einer Quelle ist nicht nur von den Geruchseigenschaften der Emission abhaengig, sondern auch von sehr vielen anderen Faktoren, zum Beispiel:
- von den Eigenschaften der Emissionsquelle (z.B. Quellstaerke, Emissionshoehe, Austrittsflaeche),
- von deren orografischen und topografischen Umgebungsbedingungen (ebene Flaeche, Tallage, Hanglage, Gebaeude, Wald u.a.),
- vom Wetter ueber das Jahr (Ausbreitungsbedingungen wie Windrichtung, Windstaerke, Stroemungsturbulenz, und deren Haeufigkeit in Bezug auf den zu schuetzenden Immissionsort),
- von der Entfernung zwischen Quelle und Immissionsort und
- nicht zuletzt von der Gesundheitszufriedenheit der Bevoelkerung.
Durch psychometrische Verfahren koennen auch grundsaetzlich subjekive persoenliche Einstellungen wie die Geruchsbelaestigung erhoben und statistisch ausgewertet werden [15; 16]. Falls es zu Konflikten zwischen Geruchsstoffemittenten und betroffenen Anwohnern kommt, koennen die Prinzipien des Konfliktmanagements angewendet werden [17].
Aufgabe des Gesetzgebers in den einzelnen Laendern/Staaten ist es, die Buerger vor unzumutbaren Luftverunreinigungen, darunter auch Geruchsstoffimmissionen, zu schuetzen. Zu diesem Zweck werden Grenzwerte festgelegt, die sich auf konkrete Messparameter beziehen und deren Einhaltung von den zustaendigen Behoerden im Betriebsgenehmigungsverfahren festgeschrieben und anschließend ueberwacht wird. Sollte es bei den Behoerden in Deutschland zu Beschwerden ueber Geruchsstoffimmissionen kommen, helfen die Hinweise in der Richtlinie VDI 3883-4 [18] bei der Bearbeitung des Problems.
Quellen :
Nr. |
Titel |
1 |
Steinheider, B . und G. Winneke: Materialienband zur Geruchsimmissionsrichtlinie in NRW – Psychophysiologische und epidemiologische Grundlagen der Wahrnehmung und Bewertung von Geruchsimmissionen. Untersuchungen im Auftrags des Ministeriums fuer Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (1992) |
2 |
Sucker, K., und M. Bischoff, U. Kraemer, D. Kuehner und G. Winneke : Untersuchung zur Auswirkung von Intensitaet und hedonischer Geruchsqualitaet auf die Auspraegung der Geruchsbelaestigung. Forschungsbericht 2003 im Auftrag des Ministeriums fuer Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW, Duesseldorf, des Ministeriums fuer Umwelt und Verkehr BW, Stuttgart, und des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) in Frankfurt |
3 |
DIN EN13725 (2003) Luftbeschaffenheit – Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie; Deutsche Fassung EN 13725:2003; (+Berichtigung 1:2006-04); Berlin, Beuth Verlag |
4 |
Berichtigung zu DIN EN 13725 (2006-04); Berlin, Beuth Verlag |
5 |
VDI 3880 Olfaktometrie – Statische Probenahme (2011-10, bestaetigt 2017); Berlin, Beuth Verlag; dt.-engl. Ausgabe |
6 |
VDI 3884-1 Olfaktometrie – Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie – Ausfuehrungshinweise zur Norm DIN EN 13725;(2015-02); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt.-engl. |
7 |
VDI 3882-1 Olfaktometrie – Bestimmung der Geruchsintensitaet; (1994-09, bestaetigt 2015); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
8 |
VDI 3940-3 Bestimmung von Geruchsstoffimmissionen durch Begehungen – Ermittlung von Geruchsintensitaet und hedonischer Geruchswirkung im Feld; (2010-01 + Corrigendum 2011-08; bestaetigt 2015-04); Berlin, Beuth Verlag, zweisprachig dt./engl. |
9 |
VDI 3882-2 Olfaktometrie – Bestimmung der hedonischen Geruchswirkung; (1994-09, bestaetigt 2015); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
10 |
Peryam, D.R., und F.J. Pilgrim : Hedonic scale method of measuring food preferences. Food Technology, Symposium Sept. 1957, pp. 9-14 |
11 |
VDI 3940-4 Bestimmung der hedonischen Geruchswirkung – Polaritaetenprofile; (2010-06, bestaetigt 2015-04); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
12 |
DIN EN 16841-1 Außenluft – Bestimmung von Geruchsstoffimmissionen durch Begehungen – Teil 1: Rastermessung; Deutsche Fassung EN 16841-1:2016; Berlin, Beuth Verlag |
13 |
DIN EN 16841-2 Außenluft – Bestimmung von Geruchsstoffimmissionen durch Begehungen - Teil 2: Fahnenmessung; Deutsche Fassung EN 16841-2:2016; Berlin, Beuth Verlag |
14 |
VDI 3940-5 Bestimmung von Geruchsstoffimmissionen durch Begehungen – Ermittlung von Geruchsintensitaet und hedonischer Geruchswirkung im Feld – Hinweise und Anwendungsbeispiele; (2013-11); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
15 |
VDI 3883-1 Wirkung und Bewertung von Geruechen – Erfassung der Geruchsbelaestigung – Fragebogentechnik; (2015-09); Berlin, Beuth Verlag zweisprachig dt./engl. |
16 |
VDI 3883-2 Wirkung und Bewertung von Geruechen – Ermittlung von Belaestigungsparametern durch Befragungen – Wiederholte Kurzbefragung von ortsansaessigen Probanden; (1993-03, bestaetigt 2015-04); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
17 |
VDI 3883-3 Wirkung und Bewertung von Geruechen – Konfliktmanagement im Immissionsschutz – Grundlagen und Anwendung am Beispiel von Geruechen; (2014-06); Berlin, Beuth Verlag; zweisprachig dt./engl. |
18 |
VDI 3883-4 (Entwurf) Wirkung und Bewertung von Geruechen – Vorgehen bei der Bearbeitung von Nachbarschaftsbeschwerden wegen Geruch; (2015-05); Berlin, Beuth Verlag (in Deutsch) |